Kolumne

Politisch mitbestimmen

Wer in der Schweiz mindestens 18 Jahre alt ist, das Bürgerrecht besitzt und nicht wegen dauernder Urteilsunfähigkeit unter umfassender Beistandschaft steht, kann an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen oder sich in ein öffentliches Amt wählen lassen. Nicht immer war jedoch die Schwelle für das allgemeine Stimmrecht seit der Gründung des Bundesstaates 1848 derart niedrig angesetzt. Aufgrund konfessioneller, sozialer und geschlechtlicher Einschränkungen blieb die Stimmberechtigung lange Zeit nur einer Minderheit der Bevölkerung vorbehalten. So erhielten die Schweizer Frauen das Stimmrecht erst 1971 und auch «Armengenössigkeit» galt noch bis weit ins 20. Jahrhundert als Ausschlussgrund. Die langsame und zögerliche Ausweitung des Stimmrechts dürfte auch eine Folge der Direkten Demokratie sein: Über eine Erweiterung des Stimmrechts bestimmen jene, die bereits über das Stimmrecht verfügen. Sie haben wenig Interesse an einer Ausweitung, da sie dadurch an Stimmkraft und Einfluss verlieren. Es erstaunt deshalb kaum, dass im Kanton Bern zuletzt sowohl das Stimmrechtsalter 16 als auch das kommunale Ausländerstimmrecht an der Urne chancenlos blieben. Auch für das Frauenstimmrecht brauchte es mehrere Anläufe.

Nicht zuletzt wegen der Klimaschutzbewegung ist das Stimmrechtsalter 16 wieder in den Fokus gerückt. Der Grosse Rat wird sich in der kommenden Herbstsession mit dieser Thematik befassen. Persönlich stehe ich dem Anliegen positiv gegenüber. Das aktive Stimmrecht 16 bietet die Möglichkeit, die Partizipation der Jugendlichen zu fördern. Sie können das im Staatskundeunterricht erworbene Wissen unmittelbar anwenden. Zudem macht es aufgrund der Überalterung der Gesellschaft Sinn, der jungen Generation mehr Gewicht zu geben, damit sie eigenständig über ihre Zukunft mitbestimmen kann.

Die von der Gegnerschaft geäusserte Befürchtung, dass es den Jugendlichen an politischer Reife fehle und sie allzu leicht beeinflussbar seien, teile ich nicht. Jungen Menschen im Alter von 16 oder 17 Jahren wird bereits viel Verantwortung abverlangt. Die allermeisten beginnen in diesem Alter eine Lehre oder treten ins Gymnasium über. Die Klimabewegung der Schülerinnen und Schüler zeigt zudem, dass Jugendliche ein Interesse für politische Fragen entwickeln können.

Politische Reife ist nicht eine Frage des Alters. Die politische Meinungsbildung ist im digitalen Zeitalter für uns alle anspruchsvoller geworden. Parallel zu einer möglichen Ausweitung des Stimmrechts ist deshalb die Stärkung der politischen Bildung und der Medienkompetenz unerlässlich für das gute Funktionieren unserer Demokratie.

Philippe Messerli, Grossrat EVP

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